Waldindianer

Reiseberichte aus dem Sanella-Album Mittel- und Südamerika

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Seite 23

Hirten, die mit ihren Rinderherden die Flüsse überqueren müssen, rechnen jedoch immer damit, daß ihnen ein paar Tiere verlorengehen - Opfer der Piranhas, die nur die Knochen übriglassen. Als wir ein Stück in einem Ruderboot fuhren, hielt ich achtlos die Hand ins Wasser. Ein indianischer Ruderer riß sie zurück - "Piranha - Piranha!" Er zeigte seinen rechten Zeigefinger, dem ein Glied fehlte, und erklärte uns, daß es einer dieser Raubfische, den er von der Angel lösen wollte, glatt abgebissen hatte. Wir zweifelten noch an der Erzählung. Da nahm der Indianer einen alten Lappen und bestrich ihn mit dem Blut eben geschlachteter Hühner, die den Gummiarbeitern als Frischfleisch gebracht werden sollten. Kaum war der blutige Lappen ins Wasser geworfen, als ein wildes Ziehen und Zerren begann. Flossen tauchten auf, das Wasser spritzte. Piranhas rissen den Fetzen vor unseren Augen gierig in Stücke. - In Manaos angekommen, haben wir Kriegsrat gehalten. Onkel Tom will noch ein paar Flugplätze im Inneren des Landes anfliegen, und dann soll die Rückreise beginnen. Rio de Janeiro, die brasilianische Hauptstadt, ist das Ziel. Fernandez meint: "Eigentlich haben wir nun genug von der grünen Hölle. Ein Glück, daß wir das Urwaldmeer überfliegen können! - Stellt Euch einen Fußmarsch vor! Nein, unsere Buschmesser und Gewehre wollen wir lieber nicht brauchen." Onkel Tom hatte nämlich in Manaos vorgesorgt und unsere Tropenausrüstung ergänzt, als ob wir eine Urwaldexpedition vorhätten. "Besser ist besser!" hatte er dazu gesagt. Wir lachten ihn aus, haben aber doch alles neben meinem Sitz im Flugzeug verstaut.

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Bruchlandung auf einer Urwaldlichtung

Tatsächlich, Jupp, ich lebe noch!--Wochen ist es her, seitdem ich Dir das letztemal schrieb. Conny Pünneberg war verschollen, wirklich und wahrhaftig. Ich habe nicht mehr geglaubt, daß wir heil aus dem Urwald herauskommen. Wir steckten nämlich mitten drin. Wer hätte das gedacht, als wir zum Flug nach Rio starteten. Fernandez hatte sich genau nach den Zwischenstationen und Landeplätzen erkundigt, die wie winzige, einsame Inseln in dem unendlichen grünen Meer liegen. Unser Vogel flog ruhig wie immer, Onkel Tom steuerte ihn sicher in geringer Höhe über die Urwälder dahin. Ab und zu eine Lichtung, eine Ortschaft mit Maisstrohdächern und dort ein großes Rechteck - der Flugplatz. Wir landen, tanken und fliegen weiter.

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Onkel Tom weicht den Tropenregen aus, die aus Gewitterwolken herabrauschen - wie dunkle Säulen sieht das aus. Dort drüben ein leuchtender Regenbogen! - Aber hör, was ist mit dem Motor? Der setzt plötzlich aus, läuft unregelmäßig klopfend weiter, stockt wieder - wir blicken Onkel Tom erschrocken an. Der behält seine Ruhe, blickt aber angespannt nach unten. Unter uns nur der unendliche Wald. Will Onkel Tom etwa landen? Mein Gott, mitten im Urwald!? "Festschnallen!" ruft Fernandez. Unser "Tornado" verliert rasch an Höhe. Schon jagen wir dicht über den Baumwipfeln dahin. In der nächsten Sekunde können wir im Geäst eines Baumriesen hängen. Da - Fernandez zeigt nach vorn - eine Lichtung, am Boden nur Gestrüpp und junges Gehölz. Eine verlassene Indianersiedlung? Es bleibt keine Wahl. Onkel Tom hält darauf zu. Erzittern, ein dumpfer Schlag - die Nase unseres Flugzeuges scheint in den Boden zu fahren. Noch ein Ruck - dann ist Stille. Das erste, was ich höre, ist Onkel Toms Stimme: "Damned!" sagt er unerschütterlich. "Alles heil?" fragt Ferdinand. "Alles heil!" - "That's okay", fügt Onkel Tom hinzu und versucht, die Kabine zu öffnen. Sie klemmt, aber dann kommen wir doch hinaus. Und sehen die Bescherung. Unser guter, braver Vogel ist hin, und wir stehen in einer Urwaldlichtung. Drüben am Waldrand schreien Papageien und schimpft das Affenvolk. Denen haben wir eben einen mächtigen Schrecken eingejagt. Sonst ist nichts als eine endlose grüne Einsamkeit um uns. Mitleidlos strahlt die Tropensonne vom Himmel.

Werden die Waldindianer uns angreifen?

Was tun? Eins war klar: Auf Hilfe warten konnten wir hier nicht. Es blieb nichts übrig, als zu versuchen, uns durch den Urwald zu schlagen, bis wir zu einer Indianersiedlung kamen. Aber was waren das für Stämme der Waldindianer in dieser Gegend? Gastfreie und hilfsbereite oder einer jener Stämme, die die Fremden hassen, alles morden, was ihnen in den Weg kommt und die Köpfe der getöteten Feinde kunstvoll präparieren, um sie bei den Festen zur Schau zu stellen? Ich muß sagen, mir war nicht wohl zumute. Onkel Tom fand als erster seinen trockenen Humor wieder: "Let's go!" Auf, laßt uns gehen! Aber ehe wir aufbrachen, haben wir uns so gut wie möglich tropenmäßig ausgerüstet. Welch ein Glück, daß Onkel Tom in Manaos so gut vorgesorgt hatte. Von den Stiefeln bis zur Machete - jetzt war alles zu brauchen. Die beiden Männer trugen jeder ein Gewehr und reichlich Munition. Fernandez rettete seine kostbare Kamera. Wir kramten eben noch in der Flugzeugkabine, als ich zufällig drüben am Wald sich etwas bewegen sah. Was war das? Affen? - Ich stieß Onkel Tom am Arm.

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